In nur sieben Tagen ein neues Geschäftsmodell erfinden? Warum das eine gute Idee ist und welche Grundvoraussetzungen geschaffen werden müssen, lesen Sie im ersten Teil dieser kleinen Serie von meinem Kollegen Björn Wenninger. Wie die erfolgreiche Umsetzung dieses herausfordernden Projektes erfolgt, lesen Sie in diesem Beitrag.
Für Verwirklichung des Projektauftrags innerhalb des ambitionierten zeitlichen Rahmens war es nicht damit getan, kreative Köpfe unter hohem Zeit- und Ergebnisdruck in einer angenehmen Startup-Atmosphäre zusammenzubringen. Es brauchte neben der Kreativität, Offenheit und Leistungsbereitschaft aller Beteiligten ein fokussiertes „Sprintformat“: eine eng getaktete Workshopserie, die die Flexibilität agilen Projektmanagements mit Ergebnisorientierung ab Tag 1 verbinden würde – ein Balanceakt abseits gängiger Standardansätze.
Das gewählte Projektformat gliederte sich in drei Phasen: Vorbereitung & Setup im Vorfeld des eigentlichen Sprints, Arbeitsorganisation & Umsetzung sowie Ergebnissicherung & Kommunikation während der siebentägigen Arbeitsphase. Für Ausgestaltung, Gewichtung und Zeitbedarf der einzelnen Sprintetappen existiert kein Patentrezept – dafür sind die möglichen Ausgangslagen, Rahmenbedingungen und Fragestellungen zu breit gefächert, die zugrundeliegenden Kreativprozesse zu volatil und zu wenig planbar. Dennoch lassen sich im Rückblick auf diesen gelungenen Sprint zehn Erfolgsfaktoren ableiten.
A. Vorbereitung & Setup
Im Vorfeld des Sprints war die frühzeitige Sicherstellung der erforderlichen Rahmenbedingungen und Ressourcen entscheidend. Insbesondere die Verfügbarkeit von Räumlichkeiten und Kompetenzträgern sowie die Zusammensetzung der einzelnen Arbeitsteams standen dabei im Vordergrund.
(1) (Frei-)Räume
Offene Raumkonzepte, beschreibbare Wände, Kicker, Sitzsäcke und Kaffeemaschine – häufig bemühte Stereotypen einer kreativitätsfördernden Arbeitsumgebung gelten als Symbole für Innovationsfreundlichkeit und Voraussetzungen für geniale Eingebungen.
Im Rahmen der siebentägigen Arbeitsphase wurde jedoch deutlich, dass verschiedene Besprechungs-, Break-out- und Rückzugsmöglichkeiten für parallel arbeitende Teams entscheidender sind als die Vorzüge einer plakativen Startup-Kultur.
„Das „House of Logistics and Mobility“ (HOLM) am Frankfurter Flughafen bot uns dabei eine ideale Arbeitsumgebung. Insbesondere das „Basislager“, ein mit Kanban-Boards und Arbeitsergebnissen verzierter, durchgängig verfügbarer Konferenzraum, in dem unter anderem tägliche Stand-up- und Review-Termine stattfanden, wurde für das Projektteam zu einer vorübergehenden Heimat und trug wesentlich dazu bei, dass sich schnell ein echter Teamgeist entwickeln konnte“, berichtet Jonathan Küll, Projektleiter der DB Cargo.
(2) Teamzusammensetzung
Grundvoraussetzung für einen dynamischen Sprint war ein engagiertes und ehrgeiziges Team mit einer ausgewogenen Kombination aus Konzernstrategen, Schienengüterverkehrsexperten, Analysten und externen Beratern mit breiter Methodenkompetenz.
Ausgehend von personeller Kontinuität im Kernteam gewährleistete eine themenabhängige und oftmals täglich wechselnde Zusammensetzung der Arbeitsteams, dass die vielfältigen Fragestellungen innerhalb kürzester Zeit mit dem jeweils erforderlichen Expertenkreis effizient beantwortet werden konnten.
Idealerweise übernehmen alle Teammitglieder Verantwortung für den Projekterfolg. Die tradierte Aufgabenteilung von inhaltlicher Arbeit und übergeordneter Entscheidungskompetenz weicht dabei einem Vorgehen, in dem alle Beteiligten sowohl inhaltlich arbeiten als auch selbstständig Entscheidungen treffen.
„In dieser Situation zeigte sich der Mehrwert externer Unterstützung“, konstatiert Projektleiter Küll aus Sicht des Auftraggebers. Dieser Mehrwert liegt vor allem darin, Entscheidungen aus einer neutralen Perspektive heraus zu bewerten, Kompromisse zu fördern, mögliche Konsequenzen abzuschätzen und dadurch Ängste zu nehmen, um gerade unter hohem Zeitdruck langwierige hierarchische Abstimmungskaskaden zu vermeiden.
(3) Flexibilität und Verfügbarkeit
Während der Konzeptionsphase zeigte sich, dass die flexible Verfügbarkeit einzelner Experten den Projektfortschritt maßgeblich beschleunigen kann. Dabei erwies sich insbesondere die Einbindung fachlicher Kompetenzträger, die initial keine tragende Rolle übernehmen sollten, als herausfordernd.
Die Vertagung erfolgskritischer Fragen bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein verantwortlicher Ansprechpartner eine Lücke im prall gefüllten Terminkalender findet, kann im entscheidenden Moment zu schmerzlichen Verzögerungen führen.
Die frühzeitige Information und durchgängige Erreichbarkeit aller potenziell erforderlichen Mitarbeiter, die Abstimmung verbindlicher Terminblocker sowie die klare Vorgabe des Managements, dass Anfragen aus dem Projekt priorisiert zu behandeln sind, waren entscheidend für das Gelingen eines solchen Sprintformats.
B. Arbeitsorganisation & Umsetzung
Nach Abschluss der Vorbereitungen lag das Hauptaugenmerk am ersten Tag des siebentägigen Sprints darauf, die parallel organisierten Arbeitsstränge auf Basis gemeinsam definierter „Spielregeln“ zu priorisieren, anzuleiten und aufeinander abzustimmen. So galt es zunächst, das Team auf die intensive Arbeitsphase „einzuschwören“, Fragen zu klären und eine erste Arbeitsplanung und Priorisierung zügig abzuschließen.
Die zentrale Herausforderung in den folgenden vier Sprinttagen bestand darin, die Bearbeitung der iterativ priorisierten und diskutierten Themenschwerpunkte mit einer konsequenten Ergebnisorientierung unter Berücksichtigung verbindlicher Bearbeitungszeiten („Time Boxes“) zu verbinden.
(4) Fairplay durch transparente Spielregeln
Die Einführung klarer Kommunikationsregeln und Projektformate kann zunächst irritieren, da diese auf den ersten Blick nur Selbstverständlichkeiten und Allgemeinplätze zu wiederholen scheinen.
Indes: Mit der gemeinsamen Festlegung verbindlicher Spielregeln zu Beginn der Projekt-arbeit konnten potenzielle Vorbehalte ausgeräumt und die Grundlage für ein produktives Miteinander von Teammitgliedern geschaffen werden, die bis dato kaum auf gemeinsame Arbeitserfahrung zurückgreifen konnten.
In intensiven Phasen mit hoher Arbeitsbelastung wurde deutlich, dass eine gemeinsame Verpflichtung zu wertschätzender Kommunikation sowie zu einer offenen Fehler- und Feedbackkultur entscheidende Faktoren einer erfolgreichen Zusammenarbeit sind. Denn gerade unter Stress werden solche Selbstverständlichkeiten gern einmal vergessen.
(5) Arbeitsplanung und Priorisierung
Kreative Köpfe bringen eine Vielzahl spannender Ideen hervor. Gerade deswegen bestand die wohl größte Herausforderung der Konzeptionsphase darin, die Projektarbeit bereits in den ersten Tagen des Sprints auf die vielversprechendsten Ansätze zu fokussieren und weitere Ideen zurückzustellen – „maximizing the amount of work not done“, wie das agile Manifest von 2001 das Prinzip der Einfachheit definiert.
“People think focus means saying yes to the thing you’ve got to focus on. But that’s not what it means at all. It means saying no to the hundred other good ideas that there are.“
– Steve Jobs –
Mit Hilfe agiler Bewertungs- und Priorisierungsverfahren, einem hohen Maß an Kompromissbereitschaft und dem erforderlichen Fingerspitzengefühl wurde unter Zeitdruck um eine Einigung im Hinblick auf das weitere Vorgehen gerungen. Externe Moderation half dabei, zwischen verschiedenen Interessenslagen zu vermitteln und trug so zur konstruktiven Entscheidungsfindung bei.
Ob Scrum oder Design Thinking – Planung und Priorisierung sind bei agilen Methoden stets als iterative Prozesse angelegt. So wurden auf Basis der ersten Arbeitsergebnisse einige Prognosen erhärtet und manche Annahmen entkräftet, sodass Ideen, Hypothesen und Konzepte in täglichen Review-Terminen erneut diskutiert, in Frage gestellt, bestätigt oder verworfen wurden.
Hart erarbeitete Kompromisse im Bedarfsfall verwerfen zu müssen, birgt allerdings das Risiko einer echten Zerreißprobe. Bei den Bemühungen, trotz enttäuschter Erwartungen eine erneut zielgerichtete Diskussion in Gang zu setzen, zeigte sich der Mehrwert externer Unterstützung in der Neutralität, im Verhandlungsgeschick, der Überzeugungs- und Motivationsfähigkeit sowie der Erfahrung aus vergleichbaren Konfliktsituationen.
(6) Parallelisierung
Die effiziente Verteilung klar umrissener und parallel bearbeiteter Arbeitspakete bestimmte die Geschwindigkeit des Sprints. Dabei bewährte sich die Fokussierung auf wenige Themen nach dem Kanban-Prinzip „limit work in progress“.
Exemplarisch formulierte Team 1 Produktbeschreibungen, während Team 2 potenzielle Zielgruppen identifizierte und Team 3 Pricing-Strategien kalkulierte. Die externe Unterstützung konzentrierte sich unter anderem auf die quantitative und qualitative Analyse des umfangreichen Datenmaterials, die Modellierung des Business Cases, den gezielten Einsatz von Methoden (beispielsweise „Personas“ für das bessere Verständnis von Zielgruppen; Backlogs, Use Cases und „Prototypen“ zur Produktentwicklung; iterative Arbeitsplanung; Ein-Tages-Sprints) sowie die Systematisierung und Dokumentation der erreichten Zwischenergebnisse. So wurde sichergestellt, dass jede Arbeitsphase in einem konkreten Ergebnis resultierte, das im Anschluss diskutiert werden konnte.
(7) „Timeboxing“ und Ergebnisorientierung
Die siebentägige Intensivphase wurde so gestaltet, dass für die Bearbeitung der priorisierten Fragestellungen an jedem Tag bestimmte Zeitfenster vorgesehen waren. Die Einhaltung der Zeitvorgaben – „Timeboxing“ – ließ den Teams keine andere Wahl, als sich bei der Bearbeitung vom Pareto-Prinzip leiten zu lassen und stets jene Features mit dem höchsten erwarteten Mehrwert zu priorisieren. Jonathan Küll von der DB Cargo bestätigt den Erfolg dieses Vorgehens: „Die hohe Verbindlichkeit des Zeitplans erwies sich als Königsweg, um das Endprodukt konsequent voranzutreiben.“
Dabei kostete es die Teams anfänglich einige Überwindung, zu akzeptieren, dass weder alle Vorbehalte ausgeräumt noch alle Detailfragen im Rahmen einer Woche beantwortet werden können. Offene Punkte ohne wegweisende Bedeutung für den weiteren Projektverlauf wurden in einem separaten Themenspeicher („Issue Backlog“) zur nachgelagerten Betrachtung in folgenden Projektphasen festgehalten.
C. Ergebnissicherung & Kommunikation
Bedingt durch den engen zeitlichen Rahmen wurden Arbeitsergebnisse unter Hochdruck produziert. Vor diesem Hintergrund kamen der zielgerichteten Dokumentation der Endprodukte sowie deren adressatengerechter Kommunikation an die beteiligten Stakeholder in der abschließenden Sprintetappe während der letzten beiden Projekttage eine zentrale Rolle zu.
(8) Visualisierung und Dokumentation
Die frühzeitige Visualisierung aller aufgestellten Hypothesen, skizzierten „Prototypen“ und entworfenen Business Case- und Pricing-Modelle auf dem Weg von der Ideen- zur Lösungsfindung ist integraler Bestandteil agiler Projektarbeit und iterativer Arbeitsplanung.
Die Dekoration der Räume mit Flipcharts, Post-its, Ausdrucken, Metaplan- und Pinnwänden spiegelte zu jedem Zeitpunkt den aktuellen Projektfortschritt wider und wirkte dadurch als Ansporn und Erfolgsbestätigung zugleich.
Demgegenüber zielte die Dokumentation auf die Erfassung abgestimmter Zwischenergebnisse und Meilensteine, auf deren Basis der Arbeitsfortschritt mit den Auftraggebern und Stakeholdern diskutiert und ihnen am letzten Projekttag vorgestellt wurde.
Während des gesamten Sprints zeigte sich zudem der Mehrwert des kontinuierlichen Austauschs zwischen den Arbeitsteams und der frühzeitigen Einbindung der relevanten Stakeholder. Die begleitende Mediation und Moderation zwischen Sprint-Projekt und Stakeholdern bewirkte eine spürbare Entlastung der operativen Teamarbeit – ein Erfolgsfaktor, der in Projektkontexten häufig angeführt, jedoch oftmals unterschätzt wird.
(9) Frühzeitige und regelmäßige Einbindung relevanter Stakeholder
Aufbruchsstimmung, Begeisterung und Motivation können durch die frühe Einbindung der Auftraggeber etwa im Rahmen eines gemeinsamen Auftakts der Konzeptionsphase mit allen Beteiligten gefördert werden.
Darüber hinaus dient ein tägliches Feedback von Auftraggebern und Projektleitern als projektbegleitende Versicherung, dass Zeit und Energie auch aus der Perspektive des Managements stets auf die richtigen Themen gelenkt werden. Letztlich verantworten die Auftraggeber die Ergebnisse, sodass die Bedeutung einer engen Einbindung in die Projektarbeit nicht überschätzt werden kann.
(10) Moderation und Mediation
Nur durch Reibung entsteht Wärme. Insofern stellen lebhafte und mitunter kontroverse Diskussionen ein wesentliches Element des Innovationsprozesses dar. Um sicherzustellen, dass inhaltliche Auseinandersetzungen dennoch stets zielgerichtet geführt werden, bedarf es aktiver Moderation und Mediation. So zeigt Scrum exemplarisch, dass die Produktivität und Zufriedenheit von Teams signifikant gesteigert werden kann, wenn ein neutraler Vermittler Störfaktoren von den Arbeitsteams fernhält und Differenzen frühzeitig thematisiert.
Dabei kann insbesondere ein externer Moderator frei von bestehenden Konfliktlinien und möglichen Bereichsegoismen zwischen Partikularinteressen vermitteln, Perspektivwechsel anregen und ohne Vorbehalte kritische Fragen stellen. Vom Kick-off bis zum nervenaufreibenden Endspurt wurde auf diesem Weg eine kontinuierliche Ergebnisorientierung mit klarem Blick auf das Gesamtziel sichergestellt.
Wie die Sprint-Entwicklung zu einer Erfolgsgeschichte wurde, lesen Sie im dritten Beitrag dieser kleinen Serie von meinem Kollegen Björn Wenninger.