Wer heute für die Logistik in Industrie- und Handelsunternehmen verantwortlich ist, muss Wege finden, auch unter Druck überlegt zu entscheiden. Datengestützte Software-Lösungen helfen, auch in kritischen Situationen handlungsfähig zu bleiben – zum Beispiel, wenn es um das Management von Zöllen geht.
Globale Lieferketten stecken längst in einer Dauerkrise. Internationale Handelskonflikte, geopolitische Spannungen und anhaltende Rohstoffknappheit werden das Bild auf absehbare Zeit prägen. Um auch unter dynamischen Bedingungen souverän zu bleiben, brauchen Unternehmen fundierte Einblicke in ihre Prozesse. Oft sind Systemlandschaften jedoch fragmentiert, Abteilungen arbeiten mit unterschiedlichen Anwendungen und Prozesse laufen isoliert ab. Das Resultat sind Datensilos, stockender Informationsfluss und höhere Fehleranfälligkeit.
Von der Datenflut zur Prozessklarheit
Um solche Ineffizienzen aufzudecken und zu beheben, wurde Process Mining entwickelt. Diese Technologie durchleuchtet Prozesse, indem sie Daten aus sämtlichen Systemen und Anwendungen eines Unternehmens zusammenführt und mit Informationen aus prozessrelevanten externen Quellen anreichert. So erzeugt sie ein realistisches Bild davon, wie Prozesse tatsächlich ablaufen. Dadurch werden Ineffizienzen und Schwachstellen sichtbar und lassen sich gezielt auflösen.
Solche datengestützten Einblicke sind entscheidend, um die eigene Prozesseffizienz zu erhöhen. Um daraus weiterführendes handlungsrelevantes Wissen zu gewinnen, müssen Unternehmen jedoch einen Schritt weitergehen. Hier kommt die Technologie der Prozessintelligenz ins Spiel: Sie verknüpft die Erkenntnisse des Process Minings mit spezifischem Geschäftskontext und erzeugt auf dieser Basis ein dynamisches, datengestütztes Abbild der Unternehmensprozesse. So ist sie beispielsweise in der Lage, einen digitalen Zwilling der Supply-Chain-Prozesse zu erstellen. Wo klassische ERP- oder SCM-Systeme oft nur isolierte Einblicke liefern, ermöglicht dies ein ganzheitliches Bild. Dies versetzt Unternehmen in die Lage, Szenarien durchzuspielen und ihre Planung robuster zu gestalten.
Zoll-Management: Wie Prozessintelligenz konkret hilft
Ein Beispiel, das die Notwendigkeit dieser Fähigkeit unterstreicht, ist das Management von Zöllen. Hierfür genügt es nicht, nur zu wissen, welche Zölle auf welche Waren anfallen. Unternehmen müssen auch im Blick behalten, welche Bestellungen, Produkte, Lieferanten und Kunden davon konkret betroffen sind, welche Alternativen es gibt und wie sich Preiserhöhungen in der gesamten Lieferkette auswirken. Prozessintelligenz versetzt Unternehmen in die Lage, dies zu simulieren. Auf diese Weise können sie sehen, wie ein neuer Zollsatz ihre Marge beeinflusst, welche Produkte besonders gefährdet sind und an welchen Stellen sie schneller reagieren müssen.
Darüber hinaus ermöglicht es ihnen die Technologie, Maßnahmen direkt in ihre Systeme zurückzuspielen, beispielsweise durch alternative Frachtrouten oder die automatische Re-Priorisierung von Einkaufsvolumina. So können Unternehmen entsprechende Risiken frühzeitig erkennen, Folgen schnell bewerten und zielführende Entscheidungen treffen.
KI-Agenten effizient einsetzen
Auch der gezielte Einsatz von KI unterstützt Unternehmen dabei, handlungsfähig zu bleiben. Prozessintelligenz schafft hierfür die Voraussetzungen. Denn damit KI ihr Potenzial entfalten kann, braucht sie Zugriff auf saubere, kontextreiche Daten. Viele Projekte scheitern, weil den Algorithmen der notwendige Einblick fehlt. Prozessintelligenz liefert hier das fehlende Puzzlestück und versetzt KI-Agenten in die Lage, konkrete Aufgaben zu übernehmen.
In der Praxis hat sich gezeigt: Besonders effektiv ist der Einsatz mehrerer spezialisierter Agenten, die im Zusammenspiel unterschiedliche Teilaufgaben übernehmen. So kann etwa ein Agent in Echtzeit analysieren, wie sich neue Zölle auf Einkaufspreise auswirken, und alternative Bezugsquellen vorschlagen. Andere Agenten identifizieren Einsparpotenziale oder führen automatisiert Verhandlungen durch. Dies entlastet die Teams und beschleunigt die Entscheidungsfindung.
Ein Beispiel hierfür liefert der Stahlhersteller thyssenkrupp Rasselstein: Mithilfe einer Process-Intelligence-Plattform hat das Unternehmen mit Hauptsitz im rheinland-pfälzischen Andernach seine gesamte Lieferkette über mehr als 300 Systeme hinweg digital vernetzt. Die Verantwortlichen können heute in Echtzeit analysieren, wo Lieferverzögerungen drohen, wie Lagerbestände optimiert und Emissionen reduziert werden können – unterstützt durch gezielte KI-Anwendungen. Das schafft messbare Einsparungen im zweistelligen Millionenbereich.
Implementierung: Fokus auf kritische Prozesse
Der Einstieg in Prozessintelligenz gelingt am besten über besonders störanfällige Prozesse. Dazu gehören oft Materialverfügbarkeit, Forecasting oder Auftragsabwicklung. Wenn Unternehmen Prozessintelligenz in ihre Supply Chain einbetten, decken sie nicht nur Optimierungspotenziale im Tagesgeschäft auf. Sie schaffen auch eine stets aktuelle Informationsbasis, auf die alle Beteiligten jederzeit zugreifen können. So wird aus reaktiver Logistik proaktive Steuerung – für mehr Resilienz in der Supply Chain.
***
Leave a Reply