Der Wissenschaftspreis wird jährlich für Arbeiten mit besonderer Praxisnähe und Neuheitscharakter verliehen und bezieht das betreuende Institut ein. Nach einer Vorauswahl durch die Jury werden die besten Bewerber gebeten, mit einer Präsentation ihrer Arbeiten im Finale anzutreten - in 2021 hat das als digitales Pre-Event zum Deutschen Logistik-Kongress stattgefunden. Verliehen wird der Preis dann auf dem Kongress in Berlin, in diesem Jahr am 22. Oktober. Hier werden die Finalisten 2021 und vor allem ihre Arbeiten kurz vorgestellt.
Dr.-Ing. Christian Lieb, betreut von Prof. Dr. -Ing. Johannes Fottner, Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik an der TU MünchenDynamische Steuerungsstrategien für innerbetriebliche Routenzugsysteme |
Routenzugsysteme zur innerbetrieblichen Produktionsversorgung sind derzeit meist mit statischen Routen und festen Abfahrtstakten geplant. Geänderte Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit der Systeme erfordern eine dynamische, flexible und dennoch robuste Produktionsversorgung. Eine statische Steuerung der Materialbereitstellung führt dann häufig zu einem ineffizienten oder instabilen Systembetrieb.
In dieser Arbeit wurde daher untersucht, wie dynamische Steuerungsstrategien konzipiert sein müssen, um kurzfristig bekannte Transportbedarfe unter der Berücksichtigung des aktuellen Systemzustands robust und effizient zu bearbeiten. Dazu wurden auf Basis einer modularen Struktur 18 Steuerungsstrategien mit unterschiedlichem Dynamisierungsgrad entwickelt und algorithmisch ausgestaltet. Wichtigste Bausteine für die dynamischen Module sind die Berücksichtigung von Zeitfenstern und effizienten Tourenbildungsalgorithmen. Als zugrundeliegendes mathematisches Optimierungsproblem wurde das Vehicle Routing Problem with Time Windows (VRPTW) identifiziert und durch den Einsatz einer Multiple Ant Colony System (MACS)-Metaheuristik gelöst.
Zur Bewertung der Steuerungsstrategien wurden ereignisdiskrete Simulationsexperimente durchgeführt. Für repräsentative Systemausprägungen und Einsatzszenarien wurden je Strategie die Kombinationen aus Umlaufbestand und Routenzügen, die zum Sicherstellen einer robusten Produktionsversorgung erforderlich sind, ermittelt. Im Mittel führen dynamischere Modulausprägungen immer zu einer zumeist statistisch signifikanten Steigerung der Effektivität und Effizienz der Produktionsversorgung. Gerade die Effizienz einer Steuerungsstrategie variiert jedoch in Abhängigkeit des Routenzugsystems und Einsatzszenarios, so dass auch statische Steuerungsstrategien in manchen Fällen zu einem effizienzoptimalen Systembetrieb führen können. Insbesondere bei flexiblen Transportnetzwerken können die dynamischeren Strategien jedoch eine deutliche Einsparung an Transportressourcen ermöglichen.
Grundsätzlich muss die Auswahl einer Steuerungsstrategie immer in Abhängigkeit des konkreten Routenzugsystems und Einsatzszenarios erfolgen. Die Ergebnisse dieser Arbeit liefern dazu Anhaltspunkte und Handlungsempfehlungen.
Jan Phillip Müller, betreut von Prof. Dr. Ralf Elbert, Fachgebiet Logistik and der TU DarmstadtStochastischer Entwurf von Dienstleistungsnetzen für den intermodalen Gütertransport |
Aufgrund des sich zunehmend verschärfenden Klimawandels werden die gesellschaftlichen Forderungen nach reduzierten Treibhausgasemissionen, besonders auch im Verkehrssektor, immer drängender. Ein wichtiger Hebel im Güterverkehr ist die Verlagerung von Transporten von der Straße auf intermodale Verkehrsträger. Hierbei erfolgt nur ein kurzer Vor-/Nachlauf auf der Straße, während der Hauptlauf mittels umweltfreundlicher Transportmittel (in den meisten Fällen per Bahn) zurückgelegt wird. In der Praxis bestehen aber weiterhin Vorbehalte gegenüber der Nutzung intermodaler Alternativen, u.a. aufgrund von Unsicherheitsfaktoren wie eine schwer prognostizierbare Transportnachfrage mit resultierenden Kapazitätsengpässen sowie Verspätungen der Transporte. In meiner Dissertation konnte ich für praxisrelevante Fragestellungen jedoch zeigen, dass eine Berücksichtigung dieser Unsicherheitsfaktoren bereits in der Transportplanung die Transportqualität signifikant verbessern kann und somit die Attraktivität des intermodalen Verkehrs erhöht.
Hierfür habe ich das sog. Stochastic Service Network Design weiterentwickelt. Mittels mathematischer Optimierung und Methoden des Operations Research werden Transportpläne definiert, welche Kosten reduzieren und die Transportqualität erhöhen. Konkret können dadurch zum einen Spediteure und Verlader bei Entscheidungen zur Verkehrsträgerwahl profitieren: Die weiterentwickelten Modelle berücksichtigen mögliche Verspätungen auf Straße und Schiene und bestimmten für gegebene Transportaufträge, welche davon kostenminimal und auch pünktlich per intermodalem Transport ihr Ziel erreichen können. Zum anderen ermöglicht es Intermodaloperateuren eine Zugumlaufplanung, welche Nachfrageunsicherheiten explizit mitbetrachtet. Dadurch kann bei der Fahrplananmeldung ein Transportangebot definiert werden, welches für verschiedene Nachfrageszenarien ausreichend Kapazität bei minimalen Kosten im Netzwerk vorsieht. Die Modelle wurden in enger Kooperation mit Praxispartnern entwickelt und befinden sich bei DB Cargo für die Planung intermodaler Verkehre bereits im Praxiseinsatz.
Pascal Notz, betreut von Prof. Dr. Richard Pibernik, Uni WürzburgPräskriptive Analysen für datengesteuertes Kapazitätsmanagement |
Maschinelles Lernen (ML) führt zu enormen Veränderungen in nahezu allen Bereichen und begründet ein neues Forschungsfeld innerhalb des Operations Research (OR): Präskriptive Ansätze integrieren Methoden des ML und Optimierungsverfahren des OR mit dem Ziel, Lösungen für Planungsprobleme direkt aus historischen Observationen von Nachfrage und Features (erklärenden Variablen) abzuleiten. Im Rahmen der Arbeit werden neuartige präskriptive Ansätze zur Lösung komplexer Probleme im Kapazitätsmanagement entwickelt und auf realistische Kapazitätsplanungsprobleme angewendet. Im ersten Artikel werden zwei präskriptive Verfahren entwickelt, und zwar weighted Sample Average Approximation (wSAA) und kernelized Empirical Risk Minimization (kERM), um ein komplexes, zweistufiges stochastisches Kapazitätsplanungsproblem zu lösen: Ein Logistikdienstleister sortiert täglich eintreffende Sendungen auf drei Sortierlinien, für die die wöchentliche Mitarbeiterkapazität geplant werden muss. Die Ergebnisse demonstrieren, dass präskriptive Verfahren im Vergleich mit klassischen Lösungsverfahren zu signifikant besseren Entscheidungen führen können. Im zweiten Artikel werden wSAA und kERM auf ein Planungsproblem der klassischen Warteschlangentheorie angewendet: Ein Dienstleister erhält über den Tag verteilt Aufträge, deren Anzahl und Zeitpunkt des Eintreffens unsicher sind, und muss die Mitarbeiterkapazität für zwei Schichten planen. Die entwickelte Methode legt den Grundstein zur Lösung komplexer Warteschlangenmodelle mit präskriptiven Verfahren und schafft damit eine Verbindung zwischen den „Welten“ der Warteschlangentheorie und der präskriptiven Verfahren. Im dritten Artikel wird ein neues präskriptives Verfahren zur Lösung der Planungsprobleme der ersten beiden Artikel entwickelt, das neben guter Entscheidungsqualität insbesondere durch die Erklärbarkeit der Entscheidungen attraktiv ist: Subgradient Tree Boosting (STB). Die in diesen drei Artikeln präsentierten Ergebnisse zeigen, dass die Nutzung präskriptiver Verfahren bei der Lösung komplexer Planungsprobleme zu deutlich besseren Ergebnissen führen kann als der Einsatz klassischer Methoden.