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Brownfield Innovationsbremse oder -beschleuniger?
Strauss ist eine der weltweit führenden Marken für Berufsbekleidung und Arbeitsschutz, ein Umsatz von 1,4 Milliarden Euro spricht für ein inhabergeführtes Unternehmen eine deutliche Sprache. Die BVL Fokusgruppe Trends und Innovationen in der Logistikimmobilie (TUI) hatte die Möglichkeit, als erste Besuchergruppe in der neuen Logistikanlage von Strauss in Biebergemünd zu tagen. COO Matthias Fischer und sein Team stellten das Projekt „Logistics next Level“ vor, welches bei Strauss 2021 begonnen wurde und im März 2025 seine Inbetriebnahmephase abgeschlossen hat.
Beeindruckend war zunächst die Präsentation der knapp 80-jährigen Firmengeschichte von Strauss. 1948 in Biebergemünd gegründet, wurden schon 1980 erste
Import aus China realisiert. 2015 wurde Strauss mit dem Deutschen und Europäischen Logistikpreis der BVL für ihre innovative Logistiklösung mittels automatischer Carrier im Neckermann Gebäude ausgezeichnet – in Zusammenarbeit mit der BLG. 2020 nahm die CI-Factory in
Schlüchtern, mit einem Investitionsvolumen in dreistelliger Millionenhöhe, 13 km Fördertechnik und 400 ShuttleCarrier den Betrieb auf. Aufgrund dieses Know-hows ist Herr Fischer der richtige Experte zur Beleuchtung der Fragestellungen „Brownfield Innovationsbremse, oder -Motor“, welches das Hauptthema des zweiten Treffens der Fokusgruppe war.
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Matthias Fischer verdeutlichte eindrucksvoll, dass man ohne die Erfahrungen aus den zuvor genannten Projekten in einer Bestandsimmobilie kein so innovatives
Konzept „Logistics next Level“ hätte realisieren können. In der Planungsphase wurden die Varianten Revitalisierung, Retrofit und Neubau diskutiert. Die wesentlichen
Eckpunkte dieser Varianten können der Abbildung entnommen werden. Die geschätzten Investitionskosten für diese drei Varianten lagen zwischen 30 und 120 Mio Euro. Hierbei stellte sich dem Projektteam insbesondere die Frage: Geht Innovation überhaupt in einem Bestandsgebäude?
Einer von 26 autonomen mobilen Robotern (AMR) im Retouren Bereich![]() |
Laut Herrn Fischer und seinem Director Logistics, Mike Schmidt, waren insbesondere die Erfahrungen aus dem Projekt CI-Factory Voraussetzung, um das Projekt „Logistics next Level“ im Bestand effizient und zukunftsweisend realisieren zu können. Neben der technischen Innovation mussten in dem Konzept überraschenderweise auch in Sachen Nachhaltigkeit keine Kompromisse gemacht werden. Schauen wir uns erst einmal die technischen Innovationen an:
26 autonome, mobile Roboter (AMR) versorgen 63 Retourenarbeitsplätze und können 247 Behälter pro Stunde andienen,
» KI-unterstützte, kollaborative arbeitende Kommissionier- Roboter, die 13.500+ der 40.000 unterschiedlichen Artikel im Lagerbestand automatisch kommissionieren
können,
» Vollautomatisches Shuttlesystem mit 370 Carriern und 130.000 Stellplätzen im Shuttlelager
» 26 FlashPick Kommissionierarbeitsplätze, die höhere Produktivität und geringere Fehlerraten ermöglichen
» Tütenmaschine für kleinvolumige Aufträge – die erste ihrer Art - , die Papiertüten näht und direkte in den Versandprozess integriert ist,
» Paketreduzierer, die Kartonage auf das wirklich benötigte Volumen reduziert, indem sie überflüssige Kartonage abschneidet und recycelt
Von den Teilnehmern wurde natürlich hinterfragt, ob man in einer Bestandsimmobilie überhaupt die hohen Anforderungen in Sachen Nachhaltigkeit gerecht werden
kann. Dies wurde von dem Expertenteam von Strauss klar bestätigt. So haben Innovationen, wie die Tüten-/ Kartonreduziermaschinen alleine zu einer Einsparung
von 400 WB/Jahr geführt, welches den CO2-Ausstoß im Transportbereich nachhaltig reduziert hat. Bei der Immobilie musste jedoch zunächst eine Analyse der Gebäudestrukturen (bspw. thermische Simulationen) und der Energieflüsse erfolgen und eine Bewertung der vorhandenen Maßnahmen (Photovoltaik & Geothermie) durchgeführt werden. Hierdurch konnte man letztendlich das gesamt Energiemanagement nach ISO 50001 realisieren, die Photovoltaikanlagen wurden von 300 KWP auf 500 KWP erweitert, eine Geothermie Anlage mit 100 Bohrungen in 100 Metern Tiefe und ein neues Beleuchtungskonzept wurden umgesetzt sowie die Sensoriksteuerung des Gesamtsystems (von automatisiertem Anlagenstopp bei Stillständen bis sensorische Lichtregelung über Tageslichtsensoren und Präsenzmelder) integriert werden. Gewiss war der planerische Aufwand für die Umsetzung einer nachhaltigen Immobilie bei der Nutzung einer Bestandsimmobilie
wesentlich größer, als dies bei einem Neubau gewesen wäre. Aber nach Aussage von Herrn Fischer wurde in Biebergemünd der Beweis angetreten, dass auch eine Brownfield Immobilie die heutigen Nachhaltigkeitsstandards erfüllen kann.
Kollege Kommissionierroboter![]() |
Ein neues Brandschutzkonzept
Eine weitere Herausforderung stellte die Erfüllung der Brandschutzauflagen in der Umsetzung des Retrofit-Konzeptes dar. Bei einem Umbau verliert eine Immobilie
zunächst ihren Bestandsschutz. Es sind neue Sprinklerbereiche zu definieren und die Veränderung der Brandlasten bedingen ggf. grundsätzliche Erneuerungen der
Brandschutztechnik zu berücksichtigen. Der Brandschutzhat großen Einfluss auf die logistische Lösung und führt zu verwaltungstechnischen Herausforderungen, da die Grundlagen/Bestandserfassung teilweise extrem schwierig ist. Letztendlich wurde ein neues Gesamtbrandschutzkonzept erstellt. Hierfür war das Zusammentragen aller ursprünglichen Brandschutzkonzepte, über jede Erweiterung bis zurück nach 1998, erforderlich. Diese wurden mit den Teilbaugenehmigungen verknüpft, so dass sie gültig blieben. So wurde ein Sprinkleranlagenkonzept für zukünftige Erweiterung ausgelegt (u.a. 3 Tanks à 960 m³ mit ca. 2.880.000 Liter Löschwasser) sowie einer Renaturierung des Löschwasserteich und durch die Schaffung eines biodiversen Naturteiches. Betrachtet man nun die Grundfrage, Brownfield versus Greefield bzw. ist Brownfield eine Innovationsbremse, so muss man zunächst einmal schauen, was der Begriff Innovation überhaupt bedeutet. Laut Strauss bedeutet Innovation „Mit guten Ideen und cleveren Lösungen aktuelle Probleme und Aufgaben unter Einsatz und Kombination modernster Technologien lösen.“ Die Herausforderungen der Brownfieldlösung sind im Wesentlichen bestehende Deckenhöhen und Bodenbelastbarkeiten sowie das erforderliche neue Brandschutzkonzept. Die Experten der Fokusgruppe konnten sich beim Rundgang davon überzeugen, dass bei Strauss hier innovative Lösungen gefunden wurden. So musste beispielsweise der Materialfluss sich teilweise den vorliegenden Bodenbelastungen anpassen, d.h. es wurde der Kartonstart, bedingt durch die schweren Spezialmaschinen, in das EG auf die tragfähige Bodenplatte realisiert. Diese daraus vermeintlich resultierenden längeren Wege ermöglichen aber im Gegenzug auch Einsparungen in der Fördertechnik, da diese Wege innovativ als Staustrecken ausgelegt wurden. Die Herausforderung der unterschiedlichen Deckenhöhen erlaubte nicht immer den Materialtransport von Versandsystemen mittels fördertechnischer Anlage im Unterdeckenbereich. Dies führte zu innovativen Anlagendesigns durch den Wechsel von traditionellen Schrägförderern zu innovativen Spiralförderern und die Nutzung von über 20 autonomen,
mobilen Roboter (AMR) die ca. 60 Retourenarbeitsplätze versorgen. Nichtsdestotrotz konnten in der Brownfieldlösung ein vollautomatisches Shuttlelager, einem Kommissionier- Roboter, und 26 AMR integriert werden.
Das Ergebnis lässt sich in den folgenden Kennzahlen zusammenfassen, alle 40.000 Artikel können nun an einem Standort kommissioniert werden, dies bedeutet u.a. 35 % weniger Teillieferungen, Steigerung der Kundenzufriedenheit von 60 % auf 98 %, Reduzierung der Fehlerquote um 80 %. Die Durchlaufzeit bis zum Versand liegt nun unter einer Stunde und es können zukünftig bei Bedarf die Sendungen auf mehrere Versanddienstleister aufgeteilt werden.
Fazit der Experten der Fokusgruppe TUI war nach der Besichtigung und Diskussion:
Die Nutzung von Brownfieldimmobilien
» ermöglicht, ja erzwingt innovative Lösungen
» erfordert einen höheren Planungsaufwand und ein höheres Know-how beim Planer
» kann ebenso die heute so wichtigen Nachhaltigkeitsstandards erfüllen
» ermöglicht i.d.R. geringere Investitionen
» ist wirtschaftlicher
» ermöglicht eine Umstrukturierung in verschiedenen Baustufen und damit den Erhalt von Produktionskapazitäten.
Kontrovers wurde diskutiert, wie die langfristige Werthaltigkeit eine Brownfieldimmobilie zu sehen ist. Die Drittverwendbarkeit einer solchen Immobilie wurde von den
Teilnehmern unterschiedlich bewertet. Betrachtet man die Immobilie in 20 Jahren, so kann zum einen gesagt werden, dass eine Standardimmobilie auf dem Greenfield einen höheren Wiederverkaufswert darstellt. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten (re-use) ist die Brownfieldlösung gewiss von Vorteil, insbesondere in Ballungsräumen, wo keine Alternativgrundstücke zur Verfügung stehen. Hier haben bestimmt auch die Eigentümerverhältnisse einen gewissen Einfluss auf die Entscheidung. Eigentümergeführte Unternehmen können hier ggf. anders entscheiden als Konzerne. Auf jeden Fall war der Besuch für alle Beteiligten eine nachhaltige Erfahrung, die eine neue Perspektive für die Fragestellung Brownfield als Innovationsbeschleuniger vermittelt hat.
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Prof. Dr.-Ing. Armin Bohnhoff arbeitet an der Hochschule Darmstadt im Bereich Logistik- und Immobilienmanagement am Fachbereich Wirtschaft. Die Hochschule
Darmstadt (h_da) ist eine der größten Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAWs) in Deutschland. Der Bereich Logistik wird derzeit von 5 Professoren in
Dieburg betreut und bietet die Studiengänge Logistik Management (B.Sc.) und Sustainable Supply Chain Management (M.Sc.) an.
armin.bohnhoff@h-da.de
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Peter Salostowitz ist Peter Salostowitz ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der IndustrialPort GmbH & Co.KG. IndustrialPort ist sowohl Anbieter von Daten für Industrieimmobilien als auch ein Beratungsunternehmen mit der Ausrichtung auf die europäische Logistik- und Industrieimmobilie. Darüber hinaus erstellt
IndustrialPort Markt-, Standortanalysen und Immobilienbewertungen sowie Studien zu Immobilienthemen wie FM-, Sanierungs- oder Lebenszykluskosten.
salostowitz@industrialport.net
Dieser Artikel wurde zuerst in der LogReal.Direkt Ausgabe 02/2025 veröffentlicht.
Autoren: Prof. Dr. Armin Bohnhoff (Hochschule Darmstadt) und Peter Salostowitz (Industrial Port)

